Gibt es in Amerika einen „Kult der Ignoranz“. Das ist so eine von diesen Fragen auf Quora, die mir keine Ruhe lassen, und ich bin ihr deshalb auf den Grund gegangen. Und es stimmt tatsächlich: Aus mir unerfindlichen Gründen wird Unwissenheit, die anderswo als Mangel gilt, in den Vereinigten Staaten seit Jahrhunderten gefeiert. Die republikanische Partei ist ein Paradebeispiel dafür, wie Ignoranz und Verachtung der faktischen Wissenschaft als eine Tugend angesehen wird, und das seit ihrer Gründung.
Aber geben Sie nicht dem Donald alleine die Schuld: Er ist nur das jüngste – wenn auch eines der erschütterndsten – Beispiele für den Kult der Ignoranz. Früher hießen solche Leute „Know-Nothings“ – „Ich-weiß-von-nixe“.
Es gab tatsächlich eine große politische Partei in Amerika mit diesem Namen. Sie florierte in den 1850er Jahren, vor allem in so rückständigen Staaten des Mittleren Westens wie Ohio. Sie war in erster Linie fremdenfeindlich, anti-katholisch, anti-irisch, einwanderungsfeindlich, und populistisch. Die Mehrheit der Know-Nothings kam aus der Mittel- und Arbeiterklasse, waren eher ungebildet und sozial wie finanziell minderbemittelt. Diese Menschen fürchteten die Konkurrenz um Arbeitsplätze durch Einwanderer.
Kritiker nannten sie die „Know-Nothing Party„, weil es sich um eine geheime Organisation handelte, deren Mitgliedern es untersagt war, die Ziele und Doktrine der Partei gegenüber Nicht-Mitgliedern zu offenbaren. Wenn sie gefragt wurden, sollten sie mit „I know nothing“ antworten – „Ich weiß von nichts“.
Offiziell adaptierten die Know-Nothings den Namen American Party und stellten mit Millard Fillmore bei den Präsidentschaftswahlen von 1856 einen Mann auf, dessen Name bis heute in den USA für totale Ahnungslosigkeit steht, der aber dennoch fast ein Viertel der Stimmen erhielt. Fillmore war 1849 an der Seite von Zachary Taylor für die Whig-Partei zum Vizepräsidenten gewählt worden und übernahm nach dem überraschenden Tod Taylors für 969 Tage das höchste Amt im Lande. Er war maßgeblich daran beteiligt, dass es ein paar Jahre später zum amerikanischen Bürgerkrieg kam und wurde von seiner eigenen Partei 1852 als Kandidat fallengelassen. Mit den Know-Nothings unternahm er bei den nächsten Wahlen noch einen – allerdings vergeblichen – Versuch, ins Weiße Haus zurückzugelangen und verschwand danach ins Privatleben.
Die „Know-Nothings“ waren in Ohio unter dem Namen „Republikanische Partei“ gegründet worden und taten sich bald mit der Populist Party zur „American Party“ zusammen, auch als Fusion Party bekannt. Den Fusionierten einte im Grunde nur das gemeinsame Ziel, die Demokratische Partei daran zu hindern, durch Wahlbetrug ihre Macht vor allem in den Südstaaten zu festigen.
Tatsächlich hatten sich Demokraten in der Zeit nach dem Bürgerkrieg mit Praktiken wie der Manipulation von Stimmzetteln, Bestechung und der Fälschung von Wahlergebnissen unrühmlich hervorgetan. Demokraten in den Südstaaten drückten mehrere Gesetze durch, die das Wahlrecht von Schwarzen einschränkten, die heute kollektiv als „Jim Crow Laws“ bezeichnet werden.
Die Demokraten gingen so weit, 1899 einen Verfassungszusatz vorzuschlagen, der die Wählerbeteiligung von Farbigen stark eingeschränkt hätte, was aber nicht durchkam. Im Volksmund wurde diese politische Stoßrichtung als „Weißer Populismus“ bezeichnet, und die echten Populisten – die Republikaner – fürchteten, dadurch an Einfluss und Wählerstimmen zu verlieren.
Nochmal ganz langsam zum Verständnis: Die Demokraten haben Ende des 19ten Jahrhunderte versucht, Schwarzen das Wahlrecht zu nehmen, das ihnen erst 1870 durch den von Republikanern dominierten Congress mit dem 15ten Verfassungszusatz garantiert worden war!
Genau dasselbe machen ja heute die Republikaner in Bundesstaaten wie Texas, Georgia oder Florida, wo die von Republikanern eingebrachten Wahlrechtsänderungen die Briefwahl erschweren sollen oder Identitätskontrollen vorschreiben, was ganz offen darauf abzielen, Mitgliedern von Minderheiten den Zugang zu den Wahlurnen zu erschweren oder unmöglich zu machen.
Verkehrte Welt, nicht wahr? Demokraten vor 1970 Jahren als Rassisten und Republikaner als Verteidiger der Demokratie und der Schwarzen – Amerika, wie hast du dir verändert…
Geblieben ist die Verherrlichung der Ignoranz in meiner alten Heimat. Und daran wird sich auch so schnell nichts ändern!