Eine Branche, über die man in Zeiten wie diesen leider seltener spricht, sind die Eventveranstalter und Referentenagenturen. Bis Ende des Jahres 2019 machten sie ein blühendes Geschäft – und ich weiß das so genau, weil sie mich im vergangenen Jahr mehr als 90 Mal für eine Keynote oder einen Impulsvortrag irgendwo in Europa gebucht haben, aber seit Anfang 2020 ist das vorbei. Das sind Hunderte von meist kleineren Unternehmen mit Tausenden von Mitabreitern, denen über Nacht die Geschäftsgrundlage weggebrochen sind. Ganz zu schweigen von den Referenten selber, die oft kein Gehalt von einem großen Mutterkonzern bezogen haben und die deshalb ins Nichts blicken. Andere haben wie sich wie ich ein halbwegs lukratives zweites Standbein zugelegt oder sind einfach in Rente gegangen.
Inzwischen ist Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Ich habe gerade die ersten Anfragen für die Herbstsaison bekommen, und zwei Veranstalter, die mich schon vor dem Ausbruch von CoVdi-109 gebucht hatten, haben inzwischen signalisiert, dass die für Spätherbst geplanten Veranstaltungen voraussichtlich durchgezogen werden.
Trotzdem haben wir alle gerade viel Zeit zum Nachdenken, und ich habe sie teilweise dazu genutzt, meinen Kollegen in den Dutzenden von Redneragenturen, die mich in der Vergangenheit unterstützt und „verkauft“ haben, etwas Mut zuzusprechen und mit ihnen meine Meinung über die Zukunftsaussuchten unserer Branche zu teilen. Das habe ich in Form einer längeren E-Mail getan, die ich hier ungekürzt wiedergeben möchte:
Liebe Agenturkollegen,
Wir stehen alle vor einem großen Scherbenhaufen. Das Geschäftsmodell „Events“ und „Speaker“ ist über Nacht kollabiert. Viele von uns sitzen, wie ich auch, daheim und verbringen unsere Tage auf Facebook oder in Videokonferenzen. Ich selbst habe das Glück, als Chefredakteur von Smart Industry – the IoT Business Magazine noch ein Einkommen zu haben, das mich über Wasser hält. Andere haben nicht einmal das.
Aber es muss uns auch klar sein, dass Corona wieder weggeht. Ob das allerdings die Rückkehr bedeutet zu „Business As Usual“ bezweifele ich.
Seit mehr als 20 Jahren predige ich in meinen Büchern und Vorträgen zum Thema Digitalisierung und die Neue Welt der Arbeit Dinge wie Home Office, Virtual Teams, Videokonferenzen, Distance Learning und Telekollaboration.
Ich könnte mich also jetzt selbstzufrieden zurücklehnen angesichts der Tausenden von Unternehmen nicht nur in Deutschland, die versuchen, das alles jetzt plötzlich, auch mehr oder weniger über Nacht, umzusetzen und einzuführen.
Was mich aber wirklich herumtreibt ist die Frage: Wie geht es mit uns weiter?
Ich denke, es sind vor allem drei Dinge, denen wir unsere Aufmerksamkeit widmen müssen.
- Es wird wieder Events geben. Es wird vermutlich länger dauern, als wir uns das erhoffen, aber Menschen werden wieder zu Veranstaltungen reisen, denn der Wunsch nach echtem Kontakt ist uns angeboren. Das heißt aber auch: Die Events von Morgen werden weniger an ihren Inhalten gemessen als am Erlebnis. Frontalvorträge sind ein alter Hut. Gruppenarbeit, Workshops, Worldcafés, interaktive Foren und viele mehr werden die Eventlandschaft transformieren. Ich selbst hatte in letzter Zeit großen Erfolg mit einem kleinen Trick: Ich habe in meine Vorträge Slides mit einem Fragezeichen eingebaut und zu meinem Publikum gesagt: „Drehen Sie sich jetzt bitte zu Ihrem Sitznachbarn und sagen sie ihm oder ihr, was Ihnen in diesem Moment durch den Kopf geht“. Nach kurzem Zögern hat sich stets ein emsiges Sprechgewirr ergeben, und die Leute haben sich sichtlich wohlgefühlt, statt als passive Zuhörer als aktive Mitmacher zu agieren.
- Es wird mehr und kleinere Events geben, die seinen klareren thematischen Fokus haben werden. Die Zeiten der großen Mega-Events, als wir noch den Estrell-Ballsaal mit 2.500 Leuten befüllt und bespaßt haben, sind vorbei. Events werden auch kürzer sein, meist nur einen Tag, denn das Reisen ist in Verruf geraten. Und für die nächsten Jahre werden wir alle mit den Folgen der aufziehenden Weltwirtschaftskrise zu kämpfen haben, da wollen die Leutze den Gürtel etwas enger schnallen.
- Digitale Formate werden die Lücken füllen. Auch das predige ich seit Jahren. Leider haben nur wenige Veranstalter bisher mein Angebot angenommen, mich per Video zuschalten zu lassen. Obwohl das technisch heute leichter und in besserer Qualität als je zuvor möglich ist – von den Kosten ganz zu schweigen. Wenn ich nicht von hoch oben in den Salzburger Alpen nach Berlin oder Hamburg reisen muss, kann ich natürlich auch ganz andere Preise machen.
Woran ich allerdings nicht glaube ist, dass sich die alten Event-Konzepte eins zu eins ins Virtuelle übertragen lassen. So genannte Webinare oder „virtuelle Events“ mögen für eine Pressekonferenz taugen. 50 oder 100 Manager werden sich aber nicht in einen Audio- oder Videokanal pressen lassen. Und wenn, werden sie auf keinen Fall bereits sein, dafür so viel Geld zu bezahlen wie nötig ist, um die Kosten des Veranstalters zu decken. Allenfalls als gesponsorte Firmenevents wird sich das Format durchsetzen.
Ich bin deshalb auch gerade dabei, andere Formate auszuprobieren. Podcasts sind in Amerika ein Renner, in Deutschland fristen sie eher ein Schattendasein. Aber Unternehmen haben derzeit keine Möglichkeit, sich selbst darzustellen. Sie haben Mittel budgetiert für die Hannover Messe oder für Barcelona – und können sie nicht ausgeben. Ich habe mich mit einem alten Freund zusammengetan, der heute in der Nähe von Salzburg ein hochmodernes digitales TV-Produktionsstudio betreibt. Wir werden eine „Podcast-Manufactur“ hochziehen und Gesprächspartner auf der ganzen Welt für firmengesponsorte Podcast-Format interviewen. Und das Schönste ist: Ich muss mich dazu nicht einmal von meinem Schreibtischsessel erheben!
Ich verwende die gleiche Technik, um mein bisheriges zweite Standbein, Medien- und Interviewtrainings, „virtuell“ zu gestalten, was sehr gut läuft. Es gibt noch viele Formate, die in Zukunft rein digital ablaufen werden, und ich denke, wir alle müssen uns darauf ein- und umstellen.
Es wird wieder Events geben, das ist klar. Andere, vielleicht, aber vielleicht auch bessere. Jetzt ist Umdenken gefragt.
Witzigerweise sind allerdings meine Vortragsthemen aus den letzten Jahren heute so aktuell wie nie, denn ich habe ja schon immer versucht, Unternehmer und Manager von den Möglichkeiten zu überzeugen, mit Hilfe von Digitalität, von KI und IoT ihre Produktivität und Rentabilität zu verbessern. Bisher haben sie mir brav zugehört und an den richtigen Stellen geklatscht – und sind dann heimgefahren und haben genau so weitergemacht wie bisher. Corona hat ihren Blickwinkel verändert.
Ich denke, mir wird es in nächster Zeit genügen, einfach das Wort „Corona“ in den Vortragstitel einzubauen, und schon flutschts: „Digital Transformation in den Zeiten von Covid-19“ klingt doch schon recht sexy, finden Sie nicht?
Aber es gibt bei mir auch ganz neue Themen. Mein nächstes Buch – das mittlerweile zwölfte in 20 Jahren – kommt im Frühherbst, wieder bei Carl Hanser, auf den Markt: „Erfolgsfaktor Künstliche Intelligenz – KI in der Unternehmenspraxis. Potenziale erkennen – Entscheidungen treffen“ ist ein spannendes Buch geworden, und eines, das viele Fragen gerade von kleinen und mittleren Unternehmern in Deutschland beantwortet
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen (und natürlich auch mir), dass es ganz schnell wieder aufwärts geht mit unserer Branche.