Mein alter Freund und Mit-Pionier des deutschen Internets, Harald Summa vom eco Verband der deutschen Internetwirtschaft e.V., hat mich am Donnerstagabend d für mein „Lebenswerk“ ausgezeichnet. Ein bisschen früh, finde ich – ich denke, mein Lebenswerk ist noch längst nicht abgeschlossen. Aber es hat halt gerade so schön gepasst, weil ohnehin die eco awards 2018 vergeben wurden, und das in festlichem Rahmen in der Kölner Wolkenburg mit fürstlichem Menü, Tanzeinlagen und Gewinnern in insgesamt sieben Kategorien. Anschließend wurde bis in die Puppen getanzt, aber vorher hat man mich gebeten, ein paar ernste Worte zu sagen. Hier sind sie:
Uns kommt es heute manchmal vor, als würde es das World Wide Web schon ewig geben, aber das stimmt nicht. Als ich 1993 meine erste Visitenkarte drucken ließ, auf dem „Internet Journalist“ stand, hatte noch niemand etwas davon gehört. Ein Jahr später wurde am KMU in München der erste Web-Server installiert, und mein Freund Sabastian von Bomhard von Spacenet räumte mir einen Platz darauf frei, auf dem ich meine erste Homepage baute – ich musste dazu erst einmal HTML lernen – und wo zwei Jahre später mein „Cole-Blog“ erschien. Nur hieß er nicht so, weil das Wort „Blog“ noch nicht erfunden war.
Ich habe das Web von Anfang an erlebt, und ich bin heute sehr besorgt über die Richtung, die es genommen hat. Und deshalb habe ich mein neues Buch geschrieben, „Wild Wild Web – Was uns die Geschichte des Wilden Westens über die Zukunft der Digitalen Gesellschaft lehrt“.
Es gibt, wenn man genau hinschaut, viele Parallelen zwischen zwischen dem Wilden Westen und dem World Wide Web, das heute ja zumindest historischen noch in den Kinderschuhen steckt.
George Santayana, ein Spanier, der nach Amerika auswanderte – das ging damals noch – und dort zu einem der wichtigsten Philosophen des 20sten Jahrhunderts wurde, sagte bekanntlich: „Wer nicht bereit ist, aus der Geschichte zu lernen, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“
Das Hauptproblem heute lässt sich mit einem einzigen Wort beschreiben: GAFA – Google, Apple, Facebook and Amazon – die mächtigsten Monopole der Weltgeschichte, die völlig außer Kontrolle geraten sind und die es jetzt einzubremsen gilt, wenn wir noch mitreden wollen wenn es um unsere eigene digitale Zukunft geht!
In meinem Buch schlage ich vier Wege vor, um das Web zu reparieren.
- Regulierung: Im Wilden Westen hätte man dazu „Law & Order“ gesagt. Wir müssen den bestehenden Rechtsrahmen an die Gegebenheiten des Digitalzeitalters anpassen oder neue Gesetze erlassen, die auch für Brain Trusts und Datenmonopole anwendbar sind. Das wird ein hartes Stück Arbeit werden. Die gute Nachricht ist: Das war früher auch schon so. Mit dem Sherman Antitrust Act, der bereits 1890 verabschiedet wurde, gelang es Jahre spätere, Standard Oil zu zerschlagen!
- Technologie: Wenn uns GAFA mit ihrer Technologie Probleme wie Datendiebstahl, digitale Fremdbestimmung, Filter Bubbles, Fake News, und Hasspostings eingebrockt haben, dann sollen sie uns gefälligst auch helfen, sie mit ihrer Innovationskraft zu lösen. Die Tech-Konzerne müssen sich ihrer Verantwortung bewusst gemacht und gezwungen werden, ihre riesigen Ressourcen nicht nur zur Gewinnmaximierung bereitzustellen, sondern auch zur Bekämpfung der schlimmsten Auswüchse des Wild Wild Web.
- Solidarität: Uns steht heute ein weltumspannender Kommunikationskanal zur Verfügung, über den wir uns mit anderen auszutauschen und Dinge, die wir als unfair empfinden, brandmarken können. „Wir sind das Volk“, lautete die Parole während der Montagsdemonstrationen im Herbst 1989 – und das ließ die Bonzen erzittern und die Mauer fallen. „Wir sind das Online-Volk“ könnte die neue Parole lauten, mit der wir die Räuberbarone des Digitalzeitalters in die Knie zwingen können.
- Digitale Ethik: Als das Internet noch laufen lernte, also in den frühen 90ern, herrschte in den Foren und auf Usenet oft ein mehr als ruppiger Ton. Bitterböse „Flame Wars“ waren an der Tagesordnung. Damals entstand die Idee einer Netiquette – Benimmregeln, die zwar keine Rechtskraft besaßen, die aber weit verbreitet waren und zumindest ein wenig dazu beitrugen, dass der Ton hier und da gemäßigter wurde.
Janina Loh, eine charmante junge Philosophie-Professorin in Wien, fordert verpflichtenden Ethik-Unterricht an den Schulen und Ausbildungsstätten. Ich zitiere: „Es ist nicht mit den ‚kommenden Generationen‘ getan. Wir benötigen bereits im Hier und Jetzt Kurse und Institutionen auf unterschiedlichen Ebenen, die ein ethisches Bewusstsein fördern. Ähnliche Kurse gehören aber auch in die Unternehmen, die Technologien produzieren und mit künstlicher Intelligenz arbeiten, um auch die zu erreichen, die keine ethische Ausbildung in der Schule oder während ihrer Ausbildungszeit hatten. Vor allem aber sollte es Institutionen wie ethische Kommissionen in Unternehmen geben, wie es sie inzwischen beispielsweise auch in Krankenhäusern gibt.“
Ein Ethik-Beauftragter, so wie es heute in jeder größeren Firma einen Datenschutz-Beauftragten gibt? Ja, warum nicht! Er oder sie sollten die für die Auseinandersetzung mit ethisch fragwürdigen Unternehmensentscheidungen zuständig sein und die Unternehmensleitung und die Kollegen in neuen oder ethisch schwierigen Situationen beraten.
Wir glauben vielleicht, das World Wide Web gäbe es schon ewig, aber in Wahrheit stehen wir noch ganz am Anfang. Heute werden die Claims abgesteckt. Es geht es heute um die Herrschaft über wichtige Schlüsselbranchen wie Video, Music Streaming, Navigation oder Cloud Services: Das sind einige der Frontiers, wo der Kampf zwischen den GAFA-Unternehmen, aber auch zwischen ihnen und uns ausgetragen werden wird. Die Karten werden noch gemischt, und es ist noch nicht klar, wer das Spiel gewinnen wird.
Aber eines ist sicher: Wenn wir so weitermachen wie bisher, bleiben wir im Wilden Westen stecken. Was wir brauchen, ist eine neue, eine digitale Souveränität. Und ich meine das im doppelten Sinn. Einmal Souveränität als Selbstbestimmung. Zum anderen beschreibt das Wort aber auch eine gewisse Gelassenheit, die aus dem Gefühl entsteht, die Lage im Griff zu haben.
Ich möchte nicht im Wilden Westen leben so wie meine Vorfahren, und Sie, wollen das ja auch nicht. Wenn wir wollen, können es uns ja jederzeit im Kino oder im Fernsehen anschauen …