Wenn Helmut Ernst ins Internet geht, muss er sich ganz auf seine Ohren verlassen. Der städtische Angestellte und Blindenvertreter im Kasseler
Behindertenrat hat auf seinem Computer einen so genannten Screenreader installiert, eine Software, die ihm vorliest, was andere auf dem Bildschirm
sehen.
Ich möchte keinesfalls als zynisch oder herzlos erscheinen, aber der Vergleich sei erlaubt: Helmut Ernst, den ich bei Recherchen zu einem Artikel über
„barrierefreies Internet-Design“ kennengelernt habe, war mir heute den ganzen Tag im Sinn, als ich auf der äußrst gelungenen Konferenz „Search
Engine Marketing“ (SMX) einen Redner nach dem anderen über sinnvolle und erfolgversprechende Strategien zum verbesserten Abschneiden bei
Suchmachinen – das so genannte „Search Engine Optimising“ (SEO) – reden hörte. Im Grunde ging es immer nur um eines: Wie kann ich meine
Website so gestalten, dass die Such-Roboter oder „Spider“ und „Crawler“ von Google & Co. möglichst viele Informationen finden und mich deshalb
möglichst weit oben bei den Suchergebinissen plazieren. Denn davon hängt das Wohl und Wehe so manchen eCommerce-Anbieters und Online-Werber
ab. Merke: Wer nicht gefunden wird, hat auch sonst im Internet nichts verloren.
Was aber haben Helmut Ernst und die Such-Spinnen von Google gemeinsam. Nun, beide können nichts hören. Crawler können auch nichts sehen, sind
also de facto Behinderte. Wäre es also nicht sehr sinnvoll, wenn ein aufstrebender Internet-Anbieter, der gerne gefunden werden möchte, seine Site
behindertengerecht gestaltet.
Ich habe in den Plenums (oder sollte ich als Alt-Lateiner lieber „Pleni“ sagen?), die ich moderieren durfte, viel Zustimmung für diesen Vorschlag
erhalten. Was Jan Eric Hellbusch bestätigt, der mir seinerzeit sagte: „Barrierefreies Webdesign ist immer gutes Webdesign!“ Hellbusch ist Autor des
Standardwerks „Barrierefreies Webdesign“ (Dpunkt Verlag, 2004, 391 Seiten, 44 Euro, ISBN 3898642607) und selber seit seiner Geburt blind. Er betreibt
inzwischen eine gut gehende Beratungsfirma in Lünen bei Dortmund.
Ich habe heute eine Menge Tipps von ausgewachsenen Website-Optimierern wie Gerda von Radetzky, Stefan Karzauninkat, Markus Hövener, von
Bloofusion oder Prof. Wolfgang Buescher von Visionomic bekommen. Und immer wieder läuft es auf das Gleiche heraus: Befolge die Ratschläge und
Richtlinien, die längst für barrierefreies Webdesign gelten. Weshalb ich hier einige zitiere, die mir Sasa Ebach von der Beratungsfirma Digitale
Wertschöpfung in Köln-Longerich bei meinen Recherchen über behindertengrechte Website auf den Weg gegeben hat:
- Verwenden Sie Webstandards und Richtlinien zur barrierefreien Gestaltung, wie sie beispielsweise die Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung (BITV) für die Internet-Auftritte deutscher Bundesbehörden zwingend vorschreiben. Diese leiten sich aus Empfehlungen des World Wide Web Consortiums (W3C) ab und werden inzwischen weltweit befolgt.
- Geben Sie Ihrer Webseite einen eindeutigen, aussagefähigen Titel. Mit Hilfe des so genannten „title tag“ können sowohl Suchmaschinen wie Sehbehindert sofort erkennen, worum es auf der Seite geht.
- Füllen Sie „Alt-“Attribute sinnvoll aus. Suchmaschinen sind blind! Viele Multimediaformate können von Google & Co. nicht gelesen werden.
- Mit Hilfe entsprechender Attribute im Quellcode lassen sich Beschreibungen und Bildtexte von bis zu 1024 Zeichen Länge hinterlegen, die durch Sprachausgabe oder die Verwendung einer so genannten Braillezeile Blinden und Sehbehinderten in die Lage versetzen, besser auf einer Webseite zu navigieren.
- Geben Sie Ihrer Website ein Inhaltsverzeichnis. Die so genannte „Sitemap“ ist eine spezielle Seite, auf der alle Seiten Ihres Angebots in hierarchischer Form aufgelistet sind und die dem Besucher einen schnellen Überblick darüber gibt, was ihn erwartet. Das ist nicht nur für behinderte Menschen eine große Hilfe.
- Benützen Sie eine einfache Sprache. Die Benutzerfreundlichkeit einer Website, das zeigen immer wieder so genannte Usability-Tests, wird durch eine klare Sprache, kurze Sätze und eine übersichtliche Struktur (Überschriften, Absätze, Listen, etc.) wesentlich verbessert.
Darüber hinaus fordern Fachleute wie Ebach das Verwenden von variablen Schriftgrößen, die der Benutzer selber auf Wunsch vergrößern oder verkleinern kann. Dazu ist es notwendig, dass der Designer darauf verzichtet, eine absolute Schriftgröße einzustellen – was diese aber häufig aus „ästhetischen“ Gründen tun. „Das Internet ist keine Zeitungsseite“, sagt Ebach. Das gleiche gilt für Farben: Für Sehbehinderte, aber auch für viele ältere Menschen, kommt es weniger auf das Bunte als vielmehr auf ausreichende Kontraste zwischen Hintergrund und Schrift an.
Die meisten dieser Ratschläge haben im Grunde nichts mit Behinderten zu tun, sondern nutzen jedem, der eine Website besucht. Barrierefreies Design ist einfach gutes Design. SEO bekommt man dann sozusagen gratis dazu.