Sich wie ein Seemann auf Landgang aufführen war früher schon sprichwörtlich. Doch heute haben die armen Schweine von den Containerriesen nicht einmal mehr Zeit, sich ordentlich voll laufen zu lassen.
So ein Riesenpott ist schon eine imposante Erscheinung. Gestern Abend standen wir – Teilnehmer einer hochinteressanten Kundenveranstaltung von HansaCom – auf der Terrasse des vornehmen Hamburger Restaurants „Tafelhaus“ und schauten champagnernippend zu, wie die „Cosco Guangzhou“ aus dem Umschlaghafen hinaus Richtung Nordsee geschleppt wurde, an Bord rund 4.500 Container, jedes davon 12 Meter lang, die sich bis auf Brückenhöhe stapeln. Einer der Gäste ein Einheimischer, überraschte die Runde mit der Feststellung, dass zum vollständigen Ent- und Beladen eines solchen Trumms (die „Cosco Guangzhou“ war für kurze Zeit das größte Containerfrachtschiff der Welt, bis sie im letzten September von dem noch viel größeren „Emma Maersk“ überholt wurde) nur ganze vier Stunden benötigt werden. Danach geht es – Zeit ist Geld, gerade auf hoher See – wieder weiter Richtung anderes Ende der Welt.
Unsere Gruppe erging sich in der Folge in Spekulationen darüber, wie es den Seeleuten wohl ergehen muss, denen nur ein kurzer Blick auf ihren Heimathafen vergönnt ist. Mehr als ein kurzer Einkaufstrip zum Supermarkt und ein Anruf bei den Lieben daheim sei da wohl kaum drin, wurde gemutmaßt. Auf keinen Fall bleibe da genügend Zeit für eine ordentliche Nummer im Puff von St. Pauli, geschweige denn für ein richtiges Besäufnis. Tja, so geht er hin, der Jugendtraum vom wilden Seemannsleben. Der Alltag auf einem Containerfrachter dürfte demnach ungefähr so aufregend sein wie der eines Controllers bei MAN.
Und wie die Gespräche an einem solchen Abend manchmal seltsame Wendungen nehmen kamen wir gleich darauf auf „Second Life“, wo Menschen angeblich ein erfülltes und befriedigendes Zweitleben in der Welt hinter dem Bildschirm führen. Und zum ersten Mal hatten einige bei uns am Tisch das Gefühl zu verstehen, was zumindest manchen Zeitgenossen dazu bringen könnte, eine digitale seiner analogen Wirklichkeit vorzuziehen. Mit der möglichen Ausnahme des Puffbesuchs sei ja fast jede Form der zwischenmenschlichen Interaktion auch per Avatar denkbar. Den Einwand, ein virtuelles Bier schmecke nicht, konnte ich kontern mit einem Hinweis auf die seit vielen Jahren erfolgreich durchgeführten virtuellen Weinproben, zu denen sich Menschen in verschiedenen Erdteilen verabreden: Alle besorgen sich eine Flasche des gleichen Weins, öffnen sie zur vereinbarten Zeit (Achtung: Zeitunterschied beachten!) und tauschen beim Trinken ihre Geschmackserfahrungen aus.
Ich finde das Beispiel sehr erhellend. Denn immer noch herrscht bei vielen die Fehlannahme vor, übermäßige Internet-Nutzung führe direkt in die Vereinsamung. Das Gegenteil ist der Fall, zumindest auf hoher See: Die armen Schweine sind diejenigen, die dort keinen Online-Anschluss haben.