Hat sie, oder hat sie nicht? Die Blogosphere ist heute voll von Posts zum Thema „40 Jahre Internet“. Am 29. Oktober 1969 vernetzten US-Forscher erstmals zwei Computer per Fernverbindung über Modem und Telefonstandleitung. Damit war das Arpanet geboren – „der direkte Vorläufer des Internet, wie silicon.de vermeldete.
Ich möchte ja niemandem das Fest verderben, aber so richtig nach Feiern ist mir irgendwie auch nicht zumute. Erstens gab es vorher schon Verbindungen zwischen Computern. Lawrence G. Roberts und Thomas Merrill haben bereits 1965 den legendären TX-2 am MIT in Boston per Telefonleitung mit dem Q-32 am UCLA in Kalifornien verbunden (siehe ISOCs „History of the Internet“.
Als eigentliche zumindest theoretische Geburtsstunde des Internet finde ich ohnehin den August 1962 geeigneter. Damals hat MIT-Forscher J.C.R. Licklider, der später der erste Chef von DARPA wurde, mehrere Memos verfasst, in denen er das Konzept eines „Galactic Network“ beschrieb, ein soziales Netzwerk, das die meisten Eigenschaften des heutigen Internets vorwegnahm. Man könnte sogar noch ein Jahr weiter zurückgehen bis zum 1. Juli 1961, als Leonard Kleinrock am MIT die erste wissenschaftliche Arbeit über die so genannte Paketvermittlung veröffentlichte. „Packet switching“ ist das eigentliche Herz des Internets. Allerdings dauerte es bis 1973, ehe Vinton Cerf und Bob Kahn das entsprechende Protokoll, TCP/IP, erfanden und damit den entscheidenden Startschuss zur globalen Vernetzung und der daraus sich ergebenden totalen Veränderung von Wirtschaft und Alltag gaben.
Dass diese Veränderung danach geradezu zwangsläufig war, hat mir Cerf vor ein paar Jahren einmal am Rande der CeBIT zu erklären versucht, und er hat dazu ein ganz einfaches Beispiel verwendet. „Stell dir einen Kühlschrank mit Internet-Anschluss vor“, sagte er, und er beeilte sich zu sagen, dass es solche Kühlschränke auch damals schon längst gibt. Sie werden etwa seit dem Jahr 2000 von Firmen wie LG in Korea oder Samsung in Japan gebaut, und sie verfügen über einen kleinen eingebauten Computer, einen Web-Server und einem Scanner, mit dem er die Barcodes an den Lebensmittelpackungen lesen kann um beispielsweise festzustellen, ob die Milch schon sauer ist. Der Besitzer kann seinen Kühlschrank programmieren und ihm sagen, was er alles gerne vorfinden möchte, wenn er abends heimkommt. Der Kühlschrank kann die gewünschten Dinge per Internet beim Supermarkt um die Ecke bestellen. Und in Ländern, in denen die Servicekultur etwas ausgeprägter ist als hier bei uns, da werden die Waren ins Haus geliefert und sogar, wenn das gewünscht wird, in den Kühlschrank geräumt.
So weit, so gut. Das ist keine Science Fiction, sondern längst Realität, auch wenn die wenigsten unter den geneigten Lesern vermutlich schon einen solchen Kühlschrank in der Küche stehen haben. Aber was wäre, fragte Cerf, wenn es eine Personenwaage mit Internetanschluss gäbe. Vorstellbar wäre sowas ja: Krankhaft übergewichtige Menschen könnten sich morgens drauf stellen, und die Waage würde das Gewicht an den behandelnden Arzt übermitteln, der daraufhin die Medikamentierung entsprechend einstellen oder den Patienten in die Praxis bestellen könnte.
Was aber, wenn der Internet-Kühlschrank auf einmal anfangen würde, mit der Internet-Waage zu kommunizieren? Was käme dabei heraus? Schwer zu sagen. Vielleicht fände der Besitzer abends lauter Diätkost im Kühlschrank vor, oder vielleicht ließe sich die Kühlschranktür eine Zeitlang nicht mehr öffnen, weil die beiden das so beschlossen haben. Sicher ist nur: Es wäre nicht mehr alles so wie früher. „Und warum?“, fragte Cerf und lächelte triumphierend. „Weil die Vernetzung automatisch immer auch Veränderung bedeutet. Egal was Sie vernetzen oder wie sie das tun. Es kommt am Ende etwas anderes heraus, etwas Unvorhergesehenes, etwas Überraschendes!“
Wenn man bedenkt, dass wir seit Jahrzehnten dabei sind, die Wirtschaft zu vernetzen, darf es eigentlich niemanden überraschen, wenn dadurch ständig massive Veränderungen in den Unternehmen, in den Behörden, in den Schulen und Wohnzimmern der Welt in ausgelöst werden. Ungelöst ist für mich dagegen nach wie vor die Frage, wann das alles anfing – und wann wir deshalb die Champagnerkorken knallen lassen sollten. Heute jedenfalls – leider – nicht.