Heutzutage liest man viel über autonome Autos, aber man sieht nur selten welche. Natürlich gibt es Assistenzsysteme, die das Lenken unter bestimmten Bedingungen erheblich erleichtern – aber wenn die Fahrumgebung komplexer wird, sind die Systeme weniger zuverlässig. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis man nur noch in ein Auto steigen und ihm sagen muss, wohin es einen fahren soll.
Natürlich gibt es auch andere Verkehrsmittel, und viele von ihnen bewegen sich in einer Umgebung, die viel einfacher zu handhaben scheint. Was gibt es also Neues auf Schienen, auf der Wasseroberfläche und in der Luft?
Angesichts der zunehmenden Verkehrsstaus und des wachsenden Bewusstseins für die Umweltauswirkungen des Autos steigen viele Menschen auf öffentliche Verkehrsmittel um. Das niederländische Eisenbahnnetz beispielsweise rechnet damit, dass die Zahl der Fahrgäste bis 2030 um mindestens 45 Prozent steigen wird. Auch das Güterverkehrsaufkommen steigt, und die niederländische Eisenbahngesellschaft ProRail sucht nach Möglichkeiten, die vorhandene Infrastruktur besser zu nutzen.
„Es gibt so viele Züge auf dem Netz, dass die Abstände zwischen ihnen relativ kurz sind“, sagt Rick van der Mand, Projektleiter eines Experiments zum autonomen Fahren, das ProRail im März 2019 mit den Partnern Arriva und Stadler durchführte. „Es ist so viel los, dass ein Stau nie weit entfernt ist. Die Automatisierung kann das verhindern.“
In einem einwöchigen Versuch auf der Strecke von Groningen nach Zuidhorn testete die Gruppe einen modifizierten Triebwagen des Schweizer Herstellers Stadler und unternahm eine erste Fahrt im Automatisierungsgrad 2 (GoA 2) – einem halbautomatischen Zugbetrieb, bei dem das Anfahren und Anhalten automatisiert ist, aber ein Triebfahrzeugführer die Türen bedient, den Zug bei Bedarf fährt und Notfälle behandelt. In Anwesenheit eines Lokführers hielt der Zug automatisch in Groningen, Hoogkerk und Zuidhorn. ProRail wertete dies als Erfolg und setzt den Versuch fort, ist aber noch nicht bereit, ein Datum festzulegen, an dem die ersten autonomen Züge im Alltagsbetrieb eingesetzt werden.
ATO (Automatic Train Operation) ermöglicht es den Zügen nicht nur, häufiger in kürzeren Abständen zu fahren und präziser zu halten, sondern verbessert auch den Energieverbrauch durch die Optimierung von Beschleunigung, Geschwindigkeit und Bremsen. ProRail erforscht auch den Einsatz von ATO bei Güterzügen und hat 2018 in Zusammenarbeit mit Rotterdam Rail Feeding und Alstom eine modifizierte Lokomotive auf der Betuwe-Strecke eingesetzt.
Ein noch beeindruckenderes Beispiel für einen autonomen Güterzug ist bereits auf der anderen Seite der Welt im Dauerbetrieb: In der Pilbara-Region in Westaustralien lieferte das Bergbauunternehmen Rio Tinto im Juli 2018 zum ersten Mal Eisenerz mit einem autonomen Zug aus. Der AutoHaul-Projektzug besteht aus drei Lokomotiven, ist 2,4 Kilometer lang und kann bis zu 28.000 Tonnen Eisenerz transportieren. Er fährt mehr als 280 Kilometer nördlich von den Minenbetrieben in Tom Price bis zum Hafen von Cape Lambert.
Die Zugführer befinden sich in der Betriebszentrale von Rio Tinto in Perth – mehr als 1.300 Kilometer südlich der Minen. „Es gibt einen Zugführer in der Betriebszentrale in Perth, der die Route festlegt – aber sobald der Zug fährt, übernehmen die Bordcomputer und die Computer in der Betriebszentrale und er trifft seine eigenen Entscheidungen“, sagt Lido Costa, leitender Ingenieur des AutoHaul-Projekts, „und es gibt eine ganze Reihe weiterer Vorrichtungen zum Schutz von Menschen und Ausrüstung. Wenn zum Beispiel eines der Räder einen Defekt hat, wird der Zug angehalten, oder wenn eine der Kupplungen im Zug kaputt ist, erkennt das System dies und hält den Zug an.“ Die Computer halten den Zug an die Geschwindigkeitsbegrenzung und schützen ihn vor Kollisionen mit anderen Zügen oder Hindernissen, und alle öffentlichen Bahnübergänge des Netzes sind mit CCTV-Kameras ausgestattet.
Vor dem AutoHaul-Projekt mussten die Züge während jeder Fahrt dreimal anhalten, um den Fahrer zu wechseln, was jede Fahrt um eine Stunde verlängerte. Da das Zugnetz ein zentraler Bestandteil des Bergbaubetriebs ist, ist die Zeitersparnis enorm, aber das System verbessert auch die Sicherheit. „Wir ersparen den Fahrern den Transport von 1,5 Millionen Kilometern pro Jahr zu und von den Zügen, wenn sie ihre Schicht wechseln. Diese risikoreiche Tätigkeit wird durch fahrerlose Züge weitgehend reduziert“, so Costa.
Züge haben einen großen Vorteil gegenüber der Automatisierung anderer Fahrzeuge: Sie rollen auf Schienen, und es gibt selten Hindernisse, die nicht vorhersehbar sind, so dass die Navigation relativ einfach ist. Bei Schiffen ist das ganz anders. Bei dem Versuch, ein Schiff autonom zu navigieren, müssen Wind und Strömung berücksichtigt werden, und es besteht immer die Gefahr, auf Riffe oder andere Schiffe zu stoßen.
Ein Pionier auf dem Gebiet der autonomen Schifffahrt ist das norwegische Unternehmen Yara International, ein Hersteller von Pflanzendünger. Im Jahr 2018 stellte es Pläne für ein Schiff namens Yara Birkeland vor. Das Unternehmen kündigte es als den ersten vollelektrischen Containerfrachter der Welt an.
„Die Investition in dieses emissionsfreie Schiff für den Transport unserer Pflanzennährstofflösungen passt gut in unsere Strategie. Wir sind stolz darauf, mit Kongsberg zusammenzuarbeiten, um das weltweit erste autonome, vollelektrische Schiff für den kommerziellen Betrieb zu realisieren“, sagt Svein Tore Holsether, Präsident und CEO von Yara.
Der norwegische Schiffbauer Vard wird das Schiff Anfang 2020 ausliefern. Im Vergleich zu den großen Containerschiffen auf den Weltmeeren wird es mit einer Kapazität von 100 bis 150 Containern eher klein sein. Das Schiff wird zunächst von einer kleinen Mannschaft betrieben, soll aber bis 2022 schrittweise zu einem völlig autonomen Betrieb übergehen. Mit Hilfe von GPS, Radar, Kameras und Sensoren wird das Schiff in der Lage sein, ohne Hilfe zu navigieren, anzudocken und den Kai zu verlassen.
Das Projekt von Yara zeigt einige der Hindernisse auf, die einer raschen Entwicklung der autonomen Schifffahrt im Wege stehen:
- Die Häfen müssen über die notwendige Infrastruktur verfügen
- die Kommunikation zwischen den Schiffen muss zuverlässig funktionieren
- die Schiffe müssen in der Lage sein, überall zu kommunizieren – auch unter schlechten Wetterbedingungen
- die Technologie muss in die bestehende Infrastruktur integriert werden
- die Lösungen müssen zwingend kosteneffizient sein
In diesem Fall wird das Projekt in einem eher kleinen und sehr sicheren Gebiet durchgeführt. Es sind nur zwei Häfen betroffen, die nur etwa 30 Kilometer von der Produktionsstätte entfernt sind. Da das Projekt den teuren Straßentransport von Waren ersetzt, amortisieren sich die hohen Kosten in kurzer Zeit. Darüber hinaus dient das Schiff als Leuchtturmprojekt. Die Entwickler bezeichnen das gesamte Projekt als „einen großen Wendepunkt für die globale Schifffahrtsindustrie“.
Es gibt viele kleine Unternehmen und Start-ups, die in diesem Bereich entwickeln und forschen, aber wir werden wahrscheinlich ferngesteuerte Schiffe sehen, lange bevor sie völlig autonom werden. Das niederländische Unternehmen Kotug demonstrierte dies live auf der internationalen Schlepper-, Bergungs- und Offshore-Support-Vessel-Konferenz ITS 2018 in Marseille, Frankreich. Bei der Präsentation übernahm ein Kapitän die Kontrolle über die Steuerungs- und Motorensysteme eines Schleppers in Rotterdam (über 900 km entfernt) über eine gesicherte Internetverbindung und Live-Kameras. Das Unternehmen erklärte: „Die Echtzeit-Sensortechnologie ermöglicht es, dem ferngesteuerten Kapitän das Situationsbewusstsein zu vermitteln, das für einen sicheren Betrieb erforderlich ist. In Kombination mit der Drohnentechnologie zur Verbindung der Schleppleine rückt die unbemannte Schifffahrt kommerziell und technisch immer näher.“
In einem Q-Series Report aus dem Jahr 2017 stellte die Investmentbank UBS fest: „Verkehrsflugzeuge starten und landen bereits mit Hilfe ihrer Bordcomputer, und mehrere andere Funktionen während des Flugs werden von Computern ausgeführt oder bestätigt. In der Tat konzentriert sich die Aufgabe des Piloten zunehmend auf die Verwaltung und Überwachung des Flugzeugs und seiner Systeme.“
Während die überwiegende Mehrheit der Schiffe Fracht befördert, werden Flugzeuge hauptsächlich von Reisenden genutzt. Dies führt zu einem der größten Hindernisse auf dem Weg zu autonomen Flugzeugen: Angst. Der weltweite UBS-Bericht Flying Solo: How far are we down the path towards pilotless planes? über die Zukunft des Luftverkehrs befragte mehr als 8.000 Personen. Die Autoren fanden heraus, dass 54 Prozent der Befragten sich weigern würden, in ein pilotenloses Flugzeug einzusteigen – und auch eine niedrigere Zahl würde sie nicht von ihrer Meinung abbringen. Nur 17 Prozent der Befragten gaben an, dass sie gerne in einem Flugzeug ohne Piloten mitfliegen würden. Die Schlussfolgerung des Berichts zeigt, dass die Frage aktuell war: „Technisch gesehen könnte es bis 2025 ferngesteuerte Flugzeuge geben, die Passagiere und Fracht befördern“.
Früher oder später wird es sie geben, denn dem Bericht zufolge gibt die Branche jährlich mehr als 30 Milliarden Dollar für Piloten aus. Bevor die Akzeptanz bei den Passagieren steigt, werden die ersten nennenswerten Schritte in diese Richtung wahrscheinlich bei den Frachtflügen zu beobachten sein. Die beiden großen Akteure in diesem Bereich, Airbus und Boeing, arbeiten an diesem Thema, halten sich aber bedeckt, und es sind kaum Informationen verfügbar.
Beide Unternehmen sind offener, was ihre kleineren, autonomen Lufttaxis angeht. Boeing zum Beispiel veröffentlichte stolz Informationen über einen erfolgreichen Test, den sie im Januar 2019 mit einem autonomen Passagierflugzeug durchgeführt haben. Der Prototyp absolvierte einen kontrollierten Start, Schwebeflug und eine Landung, um die autonomen Funktionen und Bodenkontrollsysteme zu testen.
Nicht nur die großen Unternehmen arbeiten an diesem Thema, auch Start-ups, wie das bayerische Unternehmen Lilium, entwickeln sich rasant. Es könnte also durchaus sein, dass batteriebetriebene Kleinflugzeuge die ersten kommerziellen autonomen Flugobjekte sein werden – und wenn die Passagiere Vertrauen in sie haben, werden sie vielleicht auch größere Flugzeuge ohne Piloten akzeptieren.
Es sieht so aus, als stünden wir kurz vor Revolutionen bei Zügen, Schiffen und Flugzeugen. Die Technologie für autonome Fahrzeuge ist bereits verfügbar, aber was noch fehlt, sind Standards für die systemübergreifende Kommunikation, die Akzeptanz bei den Fahrgästen und weitere Ergebnisse aus Feldversuchen. Wir haben uns nur einige wenige Anwendungsfälle angesehen, aber es gibt noch viele weitere Beispiele, und die Revolution könnte schneller kommen, als wir denken.
Vor mehr als fünfzig Jahren hatte Dionne Warwick mit Trains and Boats and Planes einen Welthit. Heute werden all diese Fahrzeuge auf eine Art und Weise betrieben, die sich damals niemand hätte vorstellen können – aber was wir in naher Zukunft erwarten können, ist noch erstaunlicher.