Deutsche Verleger haben sich in Sachen Internet nicht gerade mit Ruhm bekleckert: zu spät, zu zaghaft, zu altmodisch – im Grunde haben sie eine Riesenchance verschlafen. Die Folge: Junge Menschen lesen keine Zeitung, der Tag des Großen Zeitungssterbens ist abzusehen. Der Medienwissenschaftler Prof. Wolfgang Henseler von der Universität Passau hat die seit Jahren ständig sinkenden Auflagenzahlen und Anzeigenumsätze der Verlage untersucht und kam zu der niederschmetternden Prognose, dass spätestens im Jahr 2034 die letzte Tageszeitung in Deutschland auf Papier gedruckt werden wird.
Nach einem schwachen Start hat bei deutschen Verlagen aber mittlerweile ein Umdenken angesetzt. Markus Wiegand, seines Zeichens Chefredakteur von „kresspro“, schreibt in seinem neuesten Dossier: „Viele Medienunternehmen prahlen mit ihren digitalen Erlösen.“ Er liefert auch gleich Zahlen: Bei Springer sei der Anteil des digitalen Umsatzes im 1. Quartal 2017 auf sagenhafte 71,6 Prozent gestiegen Zum Ebita-Ergebnis habe das Digitalgeschäft sogar satte 80 Prozent beigetragen. Burda machte 2015 schon 53,5 Prozent seines Umsatzes online, bei ProSiebenSat.1 waren es 31,8 Prozent (2016), bei Grunder + Jahr waren es im gleichen Jahr 23 Prozent. Schlusslicht in seiner Aufstellung bildet Burda mit gerade eben 5,3 Prozent (2015).
Das klingt doch schon ganz ermutigend. Aber Wiegand wäre nicht Wiegand, wenn er als guter Journalist nicht ein Haar in der Suppe finden würde. „Was sie dabei nicht laut sagen: mit dem Inhaltegeschäft hat das alles kaum noch etwas zu tun“, schreibt er.
Stimmt: Womit die Verlage im Internet Geld verdienen hat kaum etwas mit Journalismus zu tun. Es sind die Rubrikenmärkte, die brummen. So betreibt Springer ein gutes Dutzend Rubrikenplattforme wie belvilla, immonet, meinestadt und StepStone, deren Erlöse überwiegend durch zahlende Kleinanzeigenkunden generiert werden.
Das sei auch in Ordnung so, schreibt Wiegand. Nur macht er sich Sorgen, dass viele Medienunternehmen den Großteil ihrer Umsätze mit Geschäften machen, die mit journalistischen Inhalten wenig bis nichts zu tun haben. Doch damit seien sie nicht mehr systemrelevant für den Erhalt der demokratischen Gesellschaft, sondern seien beliebig austauschbar. „Sie dürfen dann noch genau so viel Stolz vor sich hertragen wie ein Dosenfabrikant“, polemisiert er.
Aber was ist bitteschön daran so neu? Eine Zeitung war doch schon immer ein Bündel von Geschäftsmodellen, die gemeinsam die Druckmaschine finanziert haben. Die Kiosk- und Aboerlöse trugen bei den meisten dazu nur einen geringen Teil bei: Wichtiger waren schon immer Anzeigenerlöse und Kleinanzeigen aller Art. Redaktion war für die Verlagsmanager schon immer das, womit man den Raum zwischen den Anzeigen füllte. Und weil es immer weniger wurde, sparte man eben an den Inhalten: Für „Qualitätsjournalismus“ ist heute kaum noch Geld da. Seit Jahren bekomme ich auf die Frage, wie viel Honorar ich für meinen Text bekomme, die Antwort: „Wieso Honorar – Sie bekommen doch Exposure!“
Das setzt allerdings voraus, dass der freie Journalist inzwischen ein anderes Geschäftsmodell hat, von dem er lebt. Welches? Nun, er kann Werbetexte oder PR-Meldungen schreiben, einen Blog betreiben, für den er Werbung braucht, oder wie ich Vorträge halten oder etwas ganz anderes tun, das nichts mit Journalismus zu tun hat, zum Beispiel Biobauer werden.
Das schleichende Zeitungssterben hat für mich seine Hauptursache in der Erosion der journalistischen Qualität. Verlage in Deutschland sparen Zeitungen und Zeitschriften zu Tode und klagen anschließend darüber, dass sie nicht mehr „systemrelevant“ seien. Die verzweifelten Versuche, das Abomodell ins Internet zu übertragen, ist dagegen komplett gescheitert: Wozu für Inhalte bezahlen, wenn das Internet voll ist von kostenlosen Nachrichtenangeboten?
Das Zeitungssterben ist nicht aufzuhalten. Wohl aber können sich Verlage vor der Irrelevanz schützen und weiterhin als Stütze der demokratischen Gesellschaft dienen. Nur müssen sie dazu einen Teil der sprudelnden Online-Erlöse aus dem Rubrikengeschäft dazu nutzen, Qualitätsjournalismus quer zu finanzieren. Inhalte müssen wieder Wert bekommen, Journalisten müssen wieder vom Verkauf ihrer Arbeit leben können. Ja, das wird für die Verlage ein Zuschussgeschäft sein – aber das war es ja schon immer.