Und vor allem: Kein angesagtes Eßlokal, in dem nicht irgendwelche Werbeagenturfutzis in lauten Krawatten die dicke Cohiba als endgültiges Staussymbol schwingen, dichte Rauchwolken in die Richtung jener ausstoßend, die die Frechheit besitzen, essen zu wollen, während sie rauchen.
Mein Großvater, das muß dazugesagt werden, war ein Mann vom Fach, Chef einer großen deutschen Zigarrenfabrik, die sich allerdings mehr auf „einheimische" Provinienzen verstand: die Sumatra, die einen Hauch von Orient verbreitete, oder die vollmundige Brasil, die in ihrer feinsten Ausprägung nicht nur nach Ansicht meines leider längstverstorbenen Großvaters durchaus der Havanna das Wasser reichen konnte.
Das Bild, das ich mit mir trage, hätte durchaus einem alten holländischen Meister zur Ehre gereicht. Es strahlt eine ungeheure Ruhe und Erhabenheit aus: schräg von rechts fallen die Strahlen der Sonne durch die regungslosen Rauchwolken, lassen sein silbrigweißes Haar wie eine Krone glänzen.
Ach so, Sie haben noch nie eine Zigarre geraucht? Nun, ein paar Leute wie Sie soll es ja noch geben. Macht nichts: Das haben wir gleich. Wir wollen zunächst mal einen richtigen „Vergnügungsdampfer" für Sie auswählen. Ihr freundlicher Händler – Havanna-Shops schießen ja zur Zeit überall aus dem Boden – hält einen hübschen Vorrat an „Premium Cigars" für Sie bereit. Das sind durchweg sogenannte „long filler", also Zigarren, die aus ganzen, längsweise zusammengeknüllten, von einem festen Umblatt zusammengehalten und mit einem edlen Deckblatt umhüllt. Das Ganze wird Sie so zwischen 20 und 60 Mark kosten, aber was soll’s, wir leben ja nur einmal.
Sie sind sich noch nicht ganz sicher, welche Sie nehmen sollen? Ja, es gibt so viele Formate, von der dünnen Panatella über die klassische Corona bis zum urgewaltig wirkenden Magnum. Ein kleiner Tip von Zino Davidoff, der jahrzehntelang von seinem Laden in Genf aus über die damals noch recht kleine Welt der Havanna-Liebhaber herrschte: Nehmen Sie die Zigarre, mit der Sie sich noch trauen würden, das Zimmer zu betreten, in dem gerade das Klassentreffen Ihrer ehemaligen Mitschüler stattfindet. Aber lassen Sie sich nicht täuschen: klein und dünn ist nicht gleich leicht und bekömmlich – im Gegenteil! Je dicker die Zigarre, desto langsamer strömt der Rauch durch den Windkanal des Tabaktubus und desto kühler bleibt die Glut. Der Rauch einer solchen Zigarre enthält weniger aggressive ätherische Öle und andere unerwünschte Geschmacksstoffe, die sich nur bei höheren Temperaturen lösen.
Aber so weit sind wir noch gar nicht, daß wir an das Anzünden denken können. Sie haben nämlich gleich bemerkt, daß ein Ende Ihres guten Stücks geschlossen ist. Bevor Sie paffen können, müssen Sie diesen Verschluß erst entfernen. Dazu brauchen Sie einen Zigarrenschneider, am besten eine Guillotine oder eine Zigarrenschere. Dunhill verkauft Ihnen ein formschönes Gerät für weniger als 800 Mark, also gleich zugreifen!
Was, sie schmeckt Ihnen nicht? Nun, manchen Leuten geht es mit der Zigarre so wie mit der Auster: Sie müssen sich erst einmal daran gewöhnen. Also nicht aufgeben, sondern eine andere probieren. Vielleicht war die erste zu stark, vielleicht war sie schlecht gelagert , oder vielleicht sind Sie kein Havanna-Typ, sondern sollten sich lieber den nicht ganz so kräftigen Exemplaren aus Honduras, Nicaragua oder der Dominikanischen Republik zuwenden.
Denn berauschend ist sie, die edle Havanna, wie Ihnen jeder bestätigen kann, der eine kräftige Corona bis zur Bauchbinde oder gar „bis zu den Fingernägeln" in sich hineingezogen hat. Das ist nicht nur töricht, sondern auch noch unfein: Der Mann (oder die Frau) von Welt sollte die innere Größe besitzen, auch eine sündhaft teure Zigarre spätestens nach dem zweiten Drittel wegzulegen – und nicht etwas im Aschenbecher auszudrücken, wie es manche Barbaren in den Schickimicki-Lokalen links und rechts der Leopoldstraße gerne tun.
Mit Gesundheitsbewußtsein hat solcher Verzicht nur wenig zu tun. Immerhin entstand ja die Zigarren-Welle der 90er Jahre als Gegenreaktion auf die suffragettenhafte Kampagne der Nichtraucher in den USA, wo inzwischen vielerorte das Rauchen nicht einmal mehr auf der Straße toleriert wird. Ganz zu schweigen von Restaurants, wo der einzige Rauchertisch in der Regel direkt neben dem Mülleimer plaziert wird, damit sich der Gestank des brennenden Tabaks mit dem der Essensreste vorteilhaft verbinden kann.
Dabei können Zigarrenraucher mit Recht für sich beanspruchen, gesünder zu leben als der gemeine Zigarettenraucher, die laut „Newsweek" ein zwanzigmal höheres Risiko tragen, Lungenkrebs zu bekommen, und die viermal häufiger an Erkrankungen der Herzkranzgefäße leiden als jemand, der nur Zigarre raucht. Dafür produziert eine Zigarre viermal so viel Nikotin, der zudem über den Magen schneller in den Kreislauf gelangt als beim Lungenzug.
Nun, wie sagt der Volksmund: „Umsonst ist der Tod, und der kostet das Leben." Ein gewisser Fatalismus gehört ebenso zum Zigarrenrauchen wie die Fähigkeit, bewußt zu genießen. Weshalb die Werbeindustrie inzwischen die Freunde der edlen Zigarre als perfekte Zielgruppe für gehobene Gegenstände des täglichen Gebrauchs entdeckt zu haben glaubt. In Amerika hatte der Verleger Marvin Shanken das journalistische Gegenstück zum Lottosechser, als er 1992 auf die Idee kam, eine eigene Hochglanz-Zeitschrift herauszubringen. Der „Cigar Aficionado" verkauft inzwischen jeden Monat mehr als 410.000 Exemplare und steckt voller Anzeigen für Luxusautos, Designermode und natives Olivenöl in mundgeblasenen Kristallflaschen.
„Jede Frau sollte einmal eine Zigarre probieren", meint die Schriftstellerin Tomina Edmark, Autorin des Buchs „Cigar Chic: A Women’s Perspective". Für sie ist die Zigarre „eines der schönsten Dinge des Lebens, wie ein Glas Cristal Champagner." Außerdem sei der gemeinsame Genuß von Zigarren gut fürs Eheleben: „Um eine gute Zigarre zu rauchen, brauchen Sie eine Stunde. Wenn Sie das mit Ihrem Ehemann machen, können Sie gar nicht umhin, sich zwischendurch endlich mal zu unterhalten ..."