Die Vergnügungsdampfer tauchen wieder auf

Was, Sie haben noch nie eine Havanna geraucht? Dann wird es aber allerhöchste Zeit.

Ein Zigarren-Grundkurs von Tim Cole.

Sie sind plötzlich überall; es ist so, als ob sie nur im Untergrund gelauert hätten auf ihre Chance, sich wieder ans Tageslicht zu wagen: die Zigarrenraucher. Kein Kinofilm, in dem nicht irgendwann ein Arnold Schwarzenegger, Tom Cruise oder sonst ein Leinwandstar sich eine klafterlange Corona anzünden würde. Kein Zeitschriftentitel, von dem nicht das Bildnis eines havannasmökernden Mannes oder – so weit ist es gekommen – eines Mannequins wie unser Kurvenwunder Claudia Schiffer prangt, das straffgerollte Tabakblatt mit unverhüllter Phallussymbolik lasziv zum Schmollmund geführt.

Und vor allem: Kein angesagtes Eßlokal, in dem nicht irgendwelche Werbeagenturfutzis in lauten Krawatten die dicke Cohiba als endgültiges Staussymbol schwingen, dichte Rauchwolken in die Richtung jener ausstoßend, die die Frechheit besitzen, essen zu wollen, während sie rauchen.

Jugendsünden

Als alter Zigarrenraucher freut man sich natürlich über die unvermittelte Renaissance des edelsten aller Rauchgenüße. Aber wenn ich manchmal dasitze und zuhöre, wie eine Gruppe von primanerhaften Jünglingen mit offenkundigem Fachverstand über die relativen Vorzüge von Figurados wie die „Celestiales finos" von Romeo & Julietta oder die Partagas „Presidentes" disputieren, sehe ich auf einmal vor meinem geistigen Auge das Wohnzimmer, in dem mein Großvater nach dem Essen seine erste Nachmittagszigarre zu rauchen pflegte.

Mein Großvater, das muß dazugesagt werden, war ein Mann vom Fach, Chef einer großen deutschen Zigarrenfabrik, die sich allerdings mehr auf „einheimische" Provinienzen verstand: die Sumatra, die einen Hauch von Orient verbreitete, oder die vollmundige Brasil, die in ihrer feinsten Ausprägung nicht nur nach Ansicht meines leider längstverstorbenen Großvaters durchaus der Havanna das Wasser reichen konnte.

Das Bild, das ich mit mir trage, hätte durchaus einem alten holländischen Meister zur Ehre gereicht. Es strahlt eine ungeheure Ruhe und Erhabenheit aus: schräg von rechts fallen die Strahlen der Sonne durch die regungslosen Rauchwolken, lassen sein silbrigweißes Haar wie eine Krone glänzen.

Hedonismus als "way of life"

Ja, so möchte ich auch gerne genießen können. Aber die Zeiten ändern sich, die Genußformen auch. Statt alleine mit seiner Zigarre Zwiesprache zu halten, dient sie im Kommunikationszeitalter dazu, sich mitzuteilen, ein Signal zu setzen gegenüber seiner Umwelt, in der Hedonismus die akzeptierte „way of life" geworden ist.

Ach so, Sie haben noch nie eine Zigarre geraucht? Nun, ein paar Leute wie Sie soll es ja noch geben. Macht nichts: Das haben wir gleich. Wir wollen zunächst mal einen richtigen „Vergnügungsdampfer" für Sie auswählen. Ihr freundlicher Händler – Havanna-Shops schießen ja zur Zeit überall aus dem Boden – hält einen hübschen Vorrat an „Premium Cigars"  für Sie bereit. Das sind durchweg sogenannte „long filler", also Zigarren, die aus ganzen, längsweise zusammengeknüllten, von einem festen Umblatt zusammengehalten und mit einem edlen Deckblatt umhüllt. Das Ganze wird Sie so zwischen 20 und 60 Mark kosten, aber was soll’s, wir leben ja nur einmal.

Tausend Mark für eine Zigarre

Und überhaupt: So billig kommen Sie nicht überall davon. Kürzlich sah ich zu, wie sich die Aficionados im Münchener „Nachtcafé" fast um eine soeben von einem kubanischen Meister frischgedrehte „Presidentes gigantes" beinah prügelten. Sie wurde für wohltätige Zwecke versteigert und kostete schließlich exakt tausend Mark – und das für eine grüne, unreife Zigarre, die der stolze Besitzer vielleicht auf der Silvsterfeier zur Jahrtausendwende wird rauchen können.

Sie sind sich noch nicht ganz sicher, welche Sie nehmen sollen? Ja, es gibt so viele Formate, von der dünnen Panatella über die klassische Corona bis zum urgewaltig wirkenden Magnum. Ein kleiner Tip von Zino Davidoff, der jahrzehntelang von seinem Laden in Genf aus über die damals noch recht kleine Welt der Havanna-Liebhaber herrschte: Nehmen Sie die Zigarre, mit der Sie sich noch trauen würden, das Zimmer zu betreten, in dem gerade das Klassentreffen Ihrer ehemaligen Mitschüler stattfindet. Aber lassen Sie sich nicht täuschen: klein und dünn ist nicht gleich leicht und bekömmlich – im Gegenteil! Je dicker die Zigarre, desto langsamer strömt der Rauch durch den Windkanal des Tabaktubus und desto kühler bleibt die Glut. Der Rauch einer solchen Zigarre enthält weniger aggressive ätherische Öle und andere unerwünschte Geschmacksstoffe, die sich nur bei höheren Temperaturen lösen.

Aber so weit sind wir noch gar nicht, daß wir an das Anzünden denken können. Sie haben nämlich gleich bemerkt, daß ein Ende Ihres guten Stücks geschlossen ist. Bevor Sie paffen können, müssen Sie diesen Verschluß erst entfernen. Dazu brauchen Sie einen Zigarrenschneider, am besten eine Guillotine oder eine Zigarrenschere. Dunhill verkauft Ihnen ein formschönes Gerät für weniger als 800 Mark, also gleich zugreifen!

Der erhabene Moment

Nun ist es aber endlich soweit: Sie sollten die Zigarre im 45 Grad-Winkel halten, das Brandende nach unten. Aber noch nicht in den Mund stecken – das kommt erst später. Ein langes Zedernstreichholz anzünden und das Zigarrenende vorsichtig darüber halten. Aufgepaßt: Der Tabak sollte nicht die Flamme berühren. Drehen Sie die Zigarre ein paarmal, bis sich eine gleichmäßige Glut bildet. Jetzt nehmen Sie die Zigarre – das andere Ende, natürlich – in den Mund und ziehen langsam und gleichmäßig daran. Auf keinen Fall inhalieren: Nicht nur, weil so was über kurz oder lang den stärksten Mann umhaut, sondern weil Sie sich damit als Banause entlarven, denn das feine, flüchtige Aroma geht dabei verloren.

Was, sie schmeckt Ihnen nicht? Nun, manchen Leuten geht es mit der Zigarre so wie mit der Auster: Sie müssen sich erst einmal daran gewöhnen. Also nicht aufgeben, sondern eine andere probieren. Vielleicht war die erste zu stark, vielleicht war sie schlecht gelagert , oder vielleicht sind Sie kein Havanna-Typ, sondern sollten sich lieber den nicht ganz so kräftigen Exemplaren aus Honduras, Nicaragua oder der Dominikanischen Republik zuwenden.

Schwarzmarkt für Havannas

Das ist durchaus keine Schande, sondern eine Vernunftsmaßnahme. Schließlich rauchen die meisten Amerikaner auch nichts anderes, denn bei ihnen sind Import und Verkauf von kubanischen Zigarren aufgrund des Anti-Castro-Embargos seit 1962 verboten. Was die echten Kenner aber nicht davon abhält, sich im Ausland zu versorgen. Es gibt sogar einen blühenden Schwarzmarkt für Havannas in den USA, mit Dealern und konspirativen Treffen an geheimen Orten, genau wie bei anderen Rauschgiften.

Denn berauschend ist sie, die edle Havanna, wie Ihnen jeder bestätigen kann, der eine kräftige Corona bis zur Bauchbinde oder gar „bis zu den Fingernägeln" in sich hineingezogen hat. Das ist nicht nur töricht, sondern auch noch unfein: Der Mann (oder die Frau) von Welt sollte die innere Größe besitzen, auch eine sündhaft teure Zigarre spätestens nach dem zweiten Drittel wegzulegen – und nicht etwas im Aschenbecher auszudrücken, wie es manche Barbaren in den Schickimicki-Lokalen links und rechts der Leopoldstraße gerne tun.

Mit Gesundheitsbewußtsein hat solcher Verzicht nur wenig zu tun. Immerhin entstand ja die Zigarren-Welle der 90er Jahre als Gegenreaktion auf die suffragettenhafte Kampagne der Nichtraucher in den USA, wo inzwischen vielerorte das Rauchen nicht einmal mehr auf der Straße toleriert wird. Ganz zu schweigen von Restaurants, wo der einzige Rauchertisch in der Regel direkt neben dem Mülleimer plaziert wird, damit sich der Gestank des brennenden Tabaks mit dem der Essensreste vorteilhaft verbinden kann.

Nichtraucher bleiben draußen!

Heute läuft es häufig umgekehrt: Zigarrenraucher mieten sich das Lokal – und sperren die Nichtraucher aus. „Big Smokes" und „Smokers’ Nights" haben auch bei uns in Deutschland mittlerweile Hochkonjunktur in Hotels und Gourmetlokalen.

Dabei können Zigarrenraucher mit Recht für sich beanspruchen, gesünder zu leben als der gemeine Zigarettenraucher, die laut „Newsweek" ein zwanzigmal höheres Risiko tragen, Lungenkrebs zu bekommen, und die viermal häufiger an Erkrankungen der Herzkranzgefäße leiden als jemand, der nur Zigarre raucht. Dafür produziert eine Zigarre viermal so viel Nikotin, der zudem über den Magen schneller in den Kreislauf gelangt als beim Lungenzug.

Nun, wie sagt der Volksmund: „Umsonst ist der Tod, und der kostet das Leben." Ein gewisser Fatalismus gehört ebenso zum Zigarrenrauchen wie die Fähigkeit, bewußt zu genießen. Weshalb die Werbeindustrie inzwischen die Freunde der edlen Zigarre als perfekte Zielgruppe für gehobene Gegenstände des täglichen Gebrauchs entdeckt zu haben glaubt. In Amerika hatte der Verleger Marvin Shanken das journalistische Gegenstück zum Lottosechser, als er 1992 auf die Idee kam, eine eigene Hochglanz-Zeitschrift herauszubringen. Der „Cigar Aficionado" verkauft inzwischen jeden Monat mehr als 410.000 Exemplare und steckt voller Anzeigen für Luxusautos, Designermode und natives Olivenöl in mundgeblasenen Kristallflaschen.

Warum Frauen an Zigarren toll finden

Jeder hat seinen eigenen Grund, zur Zigarre zu greifen, aber kaum eine Gruppe erregt dabei soviel Aufmerksamkeit wie Frauen. Es gibt keine zuverlässigen Erhebungen über die Anzahl der weiblichen Zigarrenraucher, aber Kenner wie der Bodo Thiel vom Havanna-Spezialgeschäft „Cigarman" schätzen ihren Anteil auf „zwischen fünf und zehn Prozent".

„Jede Frau sollte einmal eine Zigarre probieren", meint die Schriftstellerin Tomina Edmark, Autorin des Buchs „Cigar Chic: A Women’s Perspective". Für sie ist die Zigarre „eines der schönsten Dinge des Lebens, wie ein Glas Cristal Champagner." Außerdem sei der gemeinsame Genuß von Zigarren gut fürs Eheleben: „Um eine gute Zigarre zu rauchen, brauchen Sie eine Stunde. Wenn Sie das mit Ihrem Ehemann machen, können Sie gar nicht umhin, sich zwischendurch endlich mal zu unterhalten ..."

(aus: Hotel-Mosaik 3/97)